© Berliner Morgenpost | Beitrag vom 04.12.2016

 

Der Ruf der Neuköllner Silberstein-Schule war schlecht. Nun werden die Schüler auch in der Sprache ihres Herkunftslandes unterrichtet. Silberstein-Schule

Von Regina Köhler
 

Sergej Afonin hat eine weitreichende Entscheidung getroffen, als er im Frühjahr die Stelle des Schulleiters der Neuköllner Silberstein-Grundschule angetreten ist. Freizeit ist für ihn seitdem ein Fremdwort. Es gibt viel zu tun, damit sich wieder mehr Eltern für diese Schule interessieren, möglichst auch solche, deren Kinder Deutsch als Herkunftssprache haben. Die Schule hat keinen guten Ruf, bildungsnahe Eltern meldeten ihre Kinder bislang lieber woanders an.

Die Silberstein-Schule, die zwischen den S-Bahnhöfen Neukölln und Hermannplatz und damit mitten im sozialen Brennpunkt liegt, wurde schon 2013 in das "School-Turnaround-Programm" der Bildungsverwaltung aufgenommen. Die Schulinspektion hatte der Schule einen großen Bedarf bei der Unterrichtsentwicklung attestiert. Es gab interkulturelle Probleme in der Schülerschaft, das Lehrerkollegium war sich nicht einig, wie mit den Herausforderungen umzugehen ist, die Schulleiterin überfordert. Das Turnaround-Programm unterstützt zehn Berliner Schulen, die besonders große Schwierigkeiten haben. Sie bekommen zusätzliche Mittel und jeweils einen Schulentwicklungshelfer an die Seite.

Im April gab es an der Silberstein-Schule dann auch noch den Schulleiterwechsel. Sergej Afonin kam, voller Tatendrang und mit einem eigenen Konzept: Zu Beginn dieses Schuljahres hat er Kulturfächer eingeführt, in denen die Kinder in Sprache und Kultur ihres Herkunftslandes unterrichtet werden. Zurzeit lernen 280 Kinder aus 26 Nationen an der Silberstein-Schule. Sie sprechen Arabisch, Türkisch, Serbisch, Bulgarisch, Polnisch oder Spanisch, um nur einige Sprachen zu nennen, die auf dem Schulhof zu hören sind. "Unsere Schüler kommen bereits mehrsprachig hier an, während anderswo Eltern viel Geld dafür ausgeben, dass ihre Kinder so früh wie möglich eine zweite Sprache lernen", sagt Afonin.

Doch Afonin ist kein Träumer. Er weiß, dass seine Schüler sich zwar in ihrer Herkunftssprache verständigen können, dass ihnen aber Grammatik und Rechtschreibung in dieser Sprache fehlen. Deshalb gibt es jetzt den Kulturunterricht. Der findet am Nachmittag statt und ist freiwillig. Trotzdem nimmt schon fast die Hälfte der Kinder daran teil. Bislang gibt es Kulturstunden in Arabisch, Polnisch, Englisch und Spanisch. Serbisch und Bulgarisch sind in Planung. Im Vordergrund dieses Unterrichts steht zwar der Spracherwerb, doch die Schüler lernen auch die Traditionen der Länder kennen. Grundlage für Afonins Konzept sind seine Erfahrungen als Lehrer an einer Europa-Schule. An den Europa-Schulen findet die Hälfte des Unterrichts nicht auf Deutsch, sondern in einer Partnersprache wie Englisch, Französisch, Türkisch oder Russisch statt. So intensiv können sie das an der Silberstein-Schule nicht machen, der Kulturunterricht wird dort aber zweimal in der Woche jeweils drei Stunden angeboten. Und es gibt bereits erste Erfolge. "Unsere Schüler erleben, dass ihre Mehrsprachigkeit als etwas Positives gesehen und ihr Herkunftsland geachtet wird. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein", sagt Afonin. Auch untereinander würden sie sich langsam besser verstehen und respektvoller miteinander umgehen.

Schulleiter Afonin hat selbst Mi­grationserfahrung. Der 45-Jährige trägt Anzug und Krawatte, und zwar jeden Tag. Wenn er durch die Schule läuft, grüßen ihn die Kinder fröhlich, und auch seine Kollegen scheinen ihn zu mögen. Er ist in der Nähe von Moskau groß geworden und hat dort Literaturwissenschaft studiert. Zwar spricht er längst ein schönes fehlerfreies Deutsch, doch sein Akzent verrät noch die russische Herkunft. Ende der 90er- Jahre ist er nach Deutschland gekommen, in das Land von Heinrich und Thomas Mann, von Goethe und Schiller, wie er sagt. Er hat an der Humboldt-Universität studiert und neun Jahre lang an der staatlichen Europaschule Leo Tolstoi unterrichtet. Nun ist er in Neukölln. "Ich bin gern hier", sagt er, und dass er den Kindern, die im Brennpunkt aufwachsen, zeigen will, dass auch sie Stärken mitbringen, die gebraucht werden in der Gesellschaft.

Bei Schülern und Eltern kommt Afonins Konzept gut an. Schließlich habe sich auch räumlich an der Schule viel geändert, sagt er und führt den Besucher zum neuen Mehrzweckbau. In dem gibt es eine Bibliothek, eine Mensa und verschiedene Horträume. Der Weg dorthin führt über den Schulhof, der kürzlich saniert worden ist. Die Kinder können dort auf einem modernen Spielplatz spielen. Es gibt neue Sportanlagen, einen Schulgarten und gleich daneben eine neue Turnhalle.

An der Silberstein-Schule wird auch viel für den Erwerb der deutschen Sprache getan. Afonin berichtet zum Beispiel von einer Schülerblog-AG, deren Teilnehmer wie Redakteure arbeiten, ihre Mitschüler über Neuigkeiten informieren und Geschichten erzählen. Alles auf Deutsch, versteht sich. Am Ende ist der Schulleiter selbst das beste Vorbild für seine Schüler. Es macht Spaß, mitzuerleben, wie er zwischen Deutsch und Russisch hin- und her- springt. Und – was noch wichtiger ist – es scheint ganz einfach zu sein.

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